Thursday, October 20, 2011

Reiche Ernte im Hungerland

Investoren aus Indien und Saudi-Arabien pachten in Äthiopien landwirtschaftliche Nutzflächen im großen Stil. Den Millionen Hungernden bringt das wenig. Denn der Großteil der Ernte geht in den Export.

Nur Red Pauls Kopf schaut aus dem Grün hervor. Seit dem frühen Morgen kniet der Junge bei knapp 40 Grad inmitten eines Zuckerrohrfeldes und jätet Unkraut. Ein Inder mit einem großen Sonnenhut steht über ihm, passt auf, dass er auch nichts übersieht. Red ist acht Jahre alt. Umgerechnet 83 Cent verdient er, wenn er einen Tag lang auf dem Feld im Westen Äthiopiens schuftet. Das ist billiger als Pflanzenschutzmittel. Der indische Farmpächter Ramakrishna Karuturi will in spätestens drei Jahren Millionen verdienen, indem er im Hungerland Äthiopien mit Hilfe von Kinderarbeit produzierte Lebensmittel exportiert. Im zwölftärmsten Land der Welt hat das "Land-Grabbing", der Wettlauf um riesige landwirtschaftliche Produktionsflächen, gerade erst begonnen. Die sozialen und ökologischen Risiken und Chancen sind noch nicht absehbar.

"Noch ist hier überall Wildnis, aber bald wird alles ordentlich aussehen, und wir werden unter anderem Zuckerrohr und Ölpalmen anbauen", tönt Karmjeet Singh Sekhon, als er sich in einem Toyota-Pick-Up über seine Farm kutschieren lässt. Der 68-Jährige Sekhon ist Manager der gigantischen Karuturi-Farm, die sich auf einer Fläche von 100 000 Hektar im Westen Äthiopiens erstreckt, bald sollen es 300 000 Hektar sein - eine Fläche größer als Luxemburg. Rechts und links der Piste brennt das bisher unberührte Buschland, wo die gelegten Feuer zu schwach waren, helfen Bulldozer nach. Aufgeschreckte Vögel fliehen vor den Flammen Richtung Westen, gen Südsudan.

"Die ökologischen Folgen von Brandrodung und intensiver Bewässerung sind überhaupt nicht abzusehen", schimpft Girma Gumata, Mitarbeiter des an die Karuturi-Farm angrenzenden Nationalparks. Wie in der Serengeti ziehen jedes Jahr eine Million Antilopen durch den Park. Noch weiß niemand, wie die Tiere mit den Zäunen zurechtkommen werden. Laut äthiopischer Regierung gab es positive Umweltverträglichkeitsstudien.

In Äthiopien leben rund 85 Prozent der über 80 Millionen Einwohner von der Landwirtschaft, doch die Erträge gehören zu den geringsten weltweit. Meist werden die kargen Felder wie vor hunderten von Jahren mit einem vom Ochsen gezogenen Holzpflug bestellt. 4,5 Millionen Menschen sind auf Lebensmittel-Hilfslieferungen angewiesen. Der Großteil der Notnahrung wird aus dem Ausland importiert.

Die äthiopische Regierung erhofft sich von der Verpachtung der riesigen Flächen an ausländische Investoren den so dringend benötigten Modernisierungsschub für die Landwirtschaft. Sie beruft sich dabei auch auf die Welternährungsorganisation (FAO). Demnach muss die Nahrungsmittelproduktion zwischen 2010 und 2050 um 70 Prozent erhöht werden, um den weltweiten Hunger stillen zu können.

Im Land am Horn von Afrika gibt es keinen privaten Landbesitz, die insgesamt 111,5 Millionen Hektar Land gehören allein dem Staat. Dreiviertel davon sind, so die äthiopischen Regierung, für die Landwirtschaft geeignet, doch bisher werden nur 15 Millionen Hektar bestellt. 3,6 Millionen Hektar hat die Regierung jetzt für äthiopische und ausländische Investoren ausgezeichnet. Umgerechnet 4,6 bis 166,6 Euro zahlen die Investoren pro Hektar und Jahr. Die Verträge haben Laufzeiten von 20 bis 45 Jahren. Kritiker sprechen von einem Ausverkauf der Entwicklungsländer.

Offiziell werden für Großfarmen nur ungenutzte Flächen zum Verpachten freigegeben, doch Menschenrechtler befürchten Zwangsumsiedlungen. Fakt ist: In Westäthiopien findet derzeit ein staatliches Umsiedlungsprogramm statt. Laut Regierungsprogramm sind alle Umsiedlungen freiwillig und dienen dazu, der Bevölkerung einen besseren Zugang zu Infrastruktur, Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen zu gewähren. Die Realität sieht anders aus.

Mit ihren drei Kindern kauert Bäuerin Turu Omod vor dem, was von ihrem Speicherhaus und ihrer Maisernte übriggeblieben ist. "Die Regierung hat uns immer wieder gesagt, wir sollen in ein neues Dorf ziehen, aber wir wollten hier bleiben", sagt sie. Kurz darauf brannten mehrere Hütten der Siedlung nieder. Die Bewohner vermuten, dass die Regierung mit dem Feuer dem "freiwilligen" Umsiedlungsprogramm Nachdruck verleihen und freies Land für Investoren schaffen will. Die Regierung bestreitet dies.

Laut Esayas Kebede, dem Chef der für das Verpachten der landwirtschaftlichen Flächen zuständigen Agentur, profitiert Äthiopien vielfach von der Verpachtung. "Durch den Export der Lebensmittel kommen dringend benötigte Devisen ins Land, die Farmen sorgen für Beschäftigung, Technik und Know-how werden importiert, helfen uns, die Produktivität zu verbessern und so die Ernährungssicherung zu erhöhen", sagt Kebede.

Doch nicht alle wollen den vermeintlichen Fortschritt. Bauer Ojwato steht auf seinem Feld. Ab und zu weht der Wind das Knattern des Stromgenerators der Karuturi-Farm rüber. Eine knappe Minute braucht der Dorfvorsteher, um sein Feld abzulaufen. Mehrere Stunden benötigt Farmmanager Sekhon, um mit seinem Geländewagen die Karuturi-Farm abzufahren. Ojwato macht es wütend, dass die neben seinem Feld angebauten Lebensmittel exportiert werden sollen, während er und seine Familie oft auf Hilfslieferungen angewiesen sind.

In seiner unmittelbaren Nachbarschaft will der äthiopisch-saudische Scheich Mohammed Hussein Ali al-Amoudi auf der Farm seiner Firma Saudi Star bald bis zu eine Millionen Tonnen Reis pro Jahr anbauen. Wohl größtenteils für den Export, denn Reis steht kaum auf dem äthiopischen Speiseplan.

"Als die Ausländer mit ihren großen Maschinen kamen, haben wir sie willkommen geheißen. Aber sie haben nur ein paar von uns schlechtbezahlte Arbeit gegeben", sagt der Bauer. "Wir zahlen immer den nationalen Mindestlohn", erzählt Karuturi-Mann Birinder Singh stolz und Agenturchef Kebede sagt lapidar, dass niemand gezwungen werde, für den Lohn von rund einem Euro pro Tag bei den Indern zu arbeiten. Dennoch schuften viele Kinder auf den Feldern.

"Die spielen doch nur im Gras", behauptet Kebede, als er mit den Fotos von Red Pauls und den anderen Unkraut jätenden Kindern konfrontiert wird. "Die ganze Welt wird über Sie lachen, wenn Sie schreiben, dass in Gambella die Kinder arbeiten. Denn die ganze Welt weiß, dass die Arbeitsmoral dort sehr schlecht ist."


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